6.1.2 Augustinus

Viele Reformatoren sahen in Augustinus den Garant für ihre Theologie der Rechtfertigung, während die katholische Seite darauf beharrte (und beharrt), dass Augustinus eine gänzliche andere Lehre vertritt als die Reformatoren. Zugespitzt formuliert: Bei der Reformation ging es letztlich um die richtige Augustinusinterpretation! Aufgrund der umfangreichen Schriftensammlung, die Augustinus hinterlassen hat, ist es tatsächlich nicht immer einfach, seine diesbezügliche Theologie präzise zu beschreiben. Wir wollen es im Folgenden dennoch versuchen.

Wir haben bereits gesehen (III.1.3), dass sich Augustinus im Streit mit Pelagius gegen die Vorstellung wendet, eine Rechtfertigung durch eigenen Verdienst sei möglich:

„Kann aber nun derjenige Teil des Menschengeschlechtes, dem Gott Rettung und Besitz des ewigen Reiches in Aussicht gestellt hat, seine Wiederherstellung durch das Verdienst der eigenen Werke erringen? Durchaus nicht. Denn was soll einer, der dem Verderben verfallen ist, Gutes wirken können, solange er von dem Verderben nicht wieder frei ist? Kann er es vielleicht kraft seines freien Willens? Auch das ist nicht möglich. Denn gerade durch den Missbrauch seines freien Willens hat der Mensch sich und seinen freien Willen dem Verderben überliefert.“ (Enchiridion)

Andererseits darf nicht übersehen werden, dass Augustinus eine Rechtfertigung aus Glauben allein ebenfalls ablehnt:

„Überlegen wir zunächst, was aus religiösen Herzen auszurotten ist, damit sie nicht durch falsche Sicherheit ihr Heil verlieren. Das tun sie nämlich, wenn sie meinen, dass zur Erlangung des Heils der Glaube allein genüge, und dabei versäumen, auf recht Art zu leben und durch gute Werke den Weg Gottes einzuhalten.“ (Vom Glauben und von den Werken)

Wie passen diese beiden Positionen nun zusammen? Im Grunde ist es dieselbe Diskussion, die wir schon innerhalb des Neuen Testaments erlebt haben. Zu Beginn seines soeben zitierten Werk Vom Glauben und von den Werkenschreibt Augustinus:

„Nach dem Standpunkt gewisser Leute soll man zum Bade der Wiedergeburt in Christus Jesus, unserm Herrn, unterschiedslos alle zulassen, auch wenn ihre Verbrechen und Schandtaten allgemein bekannt sind, und sie auch nicht die Absicht haben, ihr schlechtes, schändliches Leben zu ändern, sondern sogar offen bekennen, darin verharren zu wollen.“

Der Bischof von Hippo denkt also nicht einfach nur über ein abstraktes Thema nach, sondern sieht sich in seiner Kirche mit einem konkreten pastoralen Problem konfrontiert. Wenn allein der Glaube zum Heil genügen würde, also jener Glaube, den auch die Dämonen teilen (s.o.), dann wäre es tatsächlich nicht nötig, ein Leben nach den Geboten Gottes zu führen. Eben diese Einstellung scheinen einige Mitglieder der Kirche vertreten zu haben, was der Bischof natürlich richtigstellen muss:

„Da also diese (irrige) Meinung schon damals entstanden war, richten sich andere apostolische Briefe von Petrus, Johannes und Judas hauptsächlich gegen diese Auffassung, um mit allem Nachdruck zu erklären, dass der Glaube ohne Werke nichts nütze. So definiert auch Paulus selbst nicht jeden Glauben, mit dem an Gott geglaubt wird, sondern nur den als heilsam und evangelisch, dessen Werke aus der Liebe hervorgehen, indem er sagt ‚Es hat nur der Glaube Wert, der sich in der Liebe auswirkt` (Gal. 5,6).“

Bei aller Abwägung zwischen Glauben und Werken betont Augustinus aber letzten Endes nichts so stark wie die absolute Souveränität Gottes:

„Damit sich demnach niemand weder seiner Werke noch auch seines eigenen freien Willensentschlusses rühme, als ob nämlich in diesem selbst der Ursprung der Verdienstlichkeit liege, woraus sich dann als gebührender Lohn die Freiheit gut zu handeln ganz von selbst ergebe, so höre man, was der nämliche Prediger der Gnade sagt: „Gott ist es, der in euch das Wollen und das Vollbringen wirkt nach seinem Wohlgefallen.“ Und an einer anderen Stelle sagt er: „Also liegt es nicht am Wollen oder Laufen eines Menschen, sondern an dem Erbarmen Gottes.“ […] „Daher kommt es, daß auch das ewige Leben, das doch gewiß der Lohn für die guten Werke ist, vom Apostel eine Gnade Gottes genannt wird. ‚Der Sold der Sünde‘, sagt er, ‚ist der Tod; eine Gnade Gottes aber ist das ewige Leben in Christus Jesus, unserm Herrn.‘ Ein Sold wird als (schuldiger) Lohn für einen Kriegsdienst bezahlt, er wird nicht geschenkt. Darum sagt der Apostel: ‚Der Sold der Sünde ist der Tod.‘ Damit will er zeigen, daß der Tod nicht als etwas Unverschuldetes, sondern als der ihr gebührende Lohn über die Sünde verhängt ist. Gnade aber ist überhaupt keine Gnade mehr, wenn sie nicht ein Gnadengeschenk ist. Damit ist zu verstehen gegeben, daß auch die guten Verdienste des Menschen Geschenke Gottes sind. Und wenn man dafür ewiges Leben erhält, was ist das anderes, als daß eine Gnade mit einer anderen vergolten wird?“ (Enchiridion)