6.1.1 Biblische Grundlage

Bereits innerhalb des Neuen Testaments wird über das richtige Verhältnis von Glauben und Werken gestritten. Der Apostel Paulus betont mit Nachdruck, vor allem in seinen Briefen an die Römer und an die Galater, dass der Mensch niemals durch die Werke des Gesetzes vor Gott gerecht werden könne, sondern nur durch den Glauben. Kritik gegenüber dieser Haltung finden wir im Jakobusbrief, dessen Autor die (in seinen Augen rhetorische) Frage stellt: „Was nützt es, meine Brüder und Schwestern, wenn einer sagt, er habe Glauben, aber es fehlen die Werke? Kann etwa der Glaube ihn retten?“ Und er fährt fort: „So ist auch der Glaube für sich allein tot, wenn er nicht Werke vorzuweisen hat.“ Gibt es hier also einen echten Widerspruch innerhalb des Neuen Testaments? Oder ist es, wie so oft bei solchen Streitigkeiten, eher eine Frage der Wortwahl?

Wie so oft geht es auch bei dieser Debatte letztlich um eine Definitionsfrage. Jakobus lässt sehr deutlich erkennen, was genau er unter Glauben versteht: „Du glaubst: Es gibt nur einen Gott. Damit hast du Recht; das glauben auch die Dämonen und sie zittern.“ Für Jakobus ist Glauben also einfach nur das Fürwahrhalten einer bestimmten Aussage. An Gott zu glauben, bedeutet für ihn einfach nur zu glauben, dass es (nur) einen Gott gibt. Damit steht er der modernen Verwendung dieses Begriffs recht nahe. Wenn in unserer Gesellschaft jemand sagt, er glaube an Außerirdische, so wäre damit nichts anderes gemeint, als dass er der Meinung ist, dass es außerirdisches Leben gibt. Deswegen kann Jakobus zu Recht herausstellen, dass nach dieser Definition auch die Dämonen über Glauben verfügen, denn selbstverständlich zweifeln diese die Existenz Gottes nicht an. Somit erklärt sich auch die Frage des Jakobus, die er an den oben zitierten Satz anhängt: „Willst du also einsehen, du törichter Mensch, dass der Glaube ohne Werke nutzlos ist?“ Wenn allein der Umstand, dass man an die Existenz Gottes glaubt, Errettung bedeuten würde, dann müssten auch die Dämonen gerettet werden, was offensichtlich widersinnig ist. In dieser Argumentationskette bleibt Jakobus also unangreifbar.

Es stellt sich nun die Frage, ob Jakobus mit seiner Glaubensdefinition das getroffen hat, was Paulus meint, wenn er von rechtfertigendem Glauben spricht. Reicht es für Paulus wirklich aus, an die Existenz Gottes zu glauben, um gerettet zu werden? Zunächst einmal ist festzuhalten, dass Paulus den Glauben nicht dem Handeln oder den Werken an sich gegenüberstellt, sondern den Werken des Gesetzes. Das Gesetz war exklusiv den Juden gegeben, der Glaube an Christus hingegen steht allen Menschen offen. „Oder ist Gott allein der Gott der Juden? Ist er nicht auch der Gott der Heiden? Ja gewiss, auch der Heiden. Denn es ist der eine Gott, der gerecht macht die Juden aus dem Glauben und die Heiden durch den Glauben“, erläutert der Apostel.

An keiner einzigen Stelle in seinem Briefen ruft Paulus zu einem passiven Glauben im Sinne des Jakobus auf. Im Gegenteil, der Apostel ermahnt seine Leser an vielen Stellen nachdrücklich zu einem gottgefälligen Leben und findet nicht selten harsche Worte für jene, die nicht auf Gottes Wegen wandeln. Für ihn ist ‚Glauben‘ eben nicht einfach das Überzeugtsein von Gottes Existenz bzw. vom Sühnetod Jesu, sondern Glaube, „der in der Liebe tätig ist“ (Gal. 5,6). Hier zeigt sich die Doppelbedeutung des Wortes ‚Glauben‘, die genau wie in unserer Sprache offenbar schon in der griechischen Antike zu Missverständnissen führen konnte. Das Englische beispielsweise unterscheidet hier auf hilfreiche Weise zwischen ‚belief‘ und ‚faith‘. ‚To believe‘ ist die Bedeutung des Wortes ‚glauben‘, die Jakobus meint, wenn er sich kritisch mit dem Begriff befasst. Zu glauben, dass es Gott gibt, reicht zur Errettung nicht aus, denn das tun auch die Dämonen. ‚Faith‘ hingegen kann, ähnlich wie das griechische pistis, im Deutschen auch mit Vertrauen übersetzt werden. Dies wiederum trifft die Bedeutung, die Paulus im Sinn hat, wenn er vom ‚Glauben‘ spricht. Der Apostel spricht von einem Vertrauen, einem Sicheinlassen auf Gott. Dazu gehört notwendigerweise immer auch eine Unterwerfung unter den Willen Gottes und somit ein Bemühen darum, nach seinen Geboten zu leben. Glaube muss, da stimmen Paulus und Jakobus restlos überein, immer lebendiger Glaube sein.