5.1.3 Augustinus (354-430)

Augustinus führte den Begriff ‚Erbsünde‘ (peccatum originale) in die Theologiegeschichte ein. Er formulierte diese Lehre in seiner Auseinandersetzung mit dem Theologen Pelagius. Dieser predigte eine strenge Askese und vertrat die Auffassung, der Mensch verfüge über einen freien Willen und sei daher auch imstande, nicht zu sündigen (siehe Kapitel VIII). Die Vorstellung einer allgemeinen und zwanghaften Sündhaftigkeit der Menschen hielt er für falsch und sogar gefährlich. Er befürchtete, dieses Konzept könne als Ausrede benutzt werden, sich nicht genug im Kampf für das Gute anzustrengen.

Augustinus widersprach und setzte sich durch. Die Lehren des Pelagius wurden auf dem Konzil von Karthago (418) verurteilt. Augustinus legte bei seiner Begründung auf folgende Dinge besonderen Wert:

  1. Adam war mit einem guten Willen ausgestattet und hatte die Möglichkeit, nicht zu sündigen.
  2. Der Grund, dass Adam dennoch eine Sünde beging, lag in seiner Überheblichkeit: „Der Anfang des bösen Willens aber liegt im Hochmut und nirgends anderswo. Und Hochmut wiederum ist nichts anderes als das Streben nach verkehrter Hoheit. Denn verkehrte Hoheit ist es, den Urgrund zu verlassen, mit dem der Geist in Zusammenhang bleiben soll, und gewissermaßen sich selbst zum Urgrund zu werden und zu dienen. Das geschieht, wenn der Geist ein übergroßes Wohlgefallen an sich selbst findet. Und ein solches Wohlgefallen ist dann vorhanden, wenn der Geist sich abkehrt von jenem unwandelbaren Gute, das ihm mehr gefallen sollte als er selbst.“ Hier liegt Augustinus also auf einer Linie mit Paulus, der ebenfalls das fehlgeleitete Rühmen seiner selbst als Ursünde des Menschen ansah (s.o.)
  3. Die Ursünde Adams wird durch den Akt der Fortpflanzung vererbt. Alle Menschen, die von Adam abstammen, teilen somit seine sündhafte Veranlagung und seinen gegen Gott gerichteten Willen.

 

Insbesondere dieser letzte Aspekt hat im Laufe der Kirchengeschichte zu viel Unverständnis, vor allem aber zu vielen Missverständnissen geführt. Manche sehen in dieser Aussage einen Grund für die negative Haltung der Kirche zur Sexualität. Um eine Verteufelung der Sexualität ging es Augustinus (wie auch der ihm folgenden Kirche) aber nicht. Allerdings beschäftigte sich der große Gelehrte eingehend mit diesem Thema und gelangte zu einigen faszinierenden Beobachtungen.

In in seinen Bekenntnissen, in denen er uns tiefe Einblicke in sein Inneres gewährt, wunderte sich Augustinus darüber, dass ausgerechnet ein so entscheidender Körperteil wie der Penis nicht durch den Willen kontrolliert werden könne. Die Erektion des Penis untersteht nicht der ausführenden Macht des menschlichen Willens, sondern folgt eigenen Gesetzen.[1] Dieser Konflikt zwischen seinem Willen und seinem Körper hat Augustins zeit seines Lebens beschäftigt. Zugleich beschäftigte ihn die vereinnahmende Macht sexueller Erregung. Während der Mensch bei der Befriedigung anderer Bedürfnisse wie Hunger oder Durst Herr seiner selbst bleibe und in der Lage sei, sich zeitgleich noch mit anderen Dingen zu beschäftigen, verschlinge die Libido den gesamten Menschen mit Körper und Geist. Die Tatsache, dass der Mensch dieser Begierde ausgeliefert ist, wurde für Augustinus zum Sinnbild für die menschliche Unfreiheit.

Adam und Eva, so Augustinus, waren die einzigen Menschen, die jemals vollkommene Freiheit genossen, weil sie ohne diese sexuelle Lust lebten. Jedenfalls taten sie dies bis zu dem Moment, in dem „ihre Augen aufgetan wurden“, sie sich gegenseitig in ihrer Nacktheit erkannten und erstmalig Scham und Lust empfanden. Wäre es nicht zum Sündenfall gekommen, so hätten sich Adam und Eva zwar dennoch durch den sexuellen Akt fortgepflanzt, aber: „So günstig war die ganze Lage, so glücklich der Mensch selbst, dass wir nicht wähnen dürfen, es hätte nur unter dem Fieber der Lust Nachkommenschaft gezeugt werden können; vielmehr würden sich dazu die Zeugungsglieder auf den Wink des Willens angeschickt haben wie die übrigen Glieder zu ihren Verrichtungen, und ohne den verführerischen Anreiz der Begier, mit voller Ruhe des Geistes und des Leibes, ohne Verletzung der Unversehrtheit, hätte sich der Gatte in den Schoß der Gemahlin ergossen.“

[1] Augustinus denkt hier als Mann, war aber davon überzeugt, dass es ein vergleichbares Phänomen auch bei Frauen geben müsse.