8.1.2. Zeugen Jehovas

Die Zeugen Jehovas verfügen nach eigenen Angaben über 8,3 Millionen (2016) Mitglieder, in Deutschland sind es ca. 166.000. Die Zentrale befindet sich in Warwick (New York). Ihr Name leitet sich aus dem Buch Jesaja (43,10) ab.

Die Zeugen Jehovas gehen auf Charles Taze Russell (1852–1916) zurück, der von dem unmittelbar bevorstehenden Weltende überzeugt war. Zunächst erwarteten er und seine Anhänger das Weltende für 1872/73. Als dieser Zeitpunkt verstrichen war, legte man sich auf das Jahr 1874 fest. Nachdem sich die Wiederkunft Christi auch dann nicht ereignet hatte, gründete Russell einen eigenen Bibelstudienkreis. Ab 1879 gab er eine Zeitschrift heraus, die später den Namen „Wachtturm“ erhielt. Es entstanden erste Lesezirkel („Ernste Bibelforscher“). Russell wollte überkonfessionell wirken und plante, etwa im Gegensatz zu Joseph Smith, keine neue Kirchengründung. Er steckte sein nicht geringes Vermögen in das von ihm gegründete Verlags- und Missionswerk, den Vorläufer der heutigen „Watch Tower Bible and Tract Society of Pennsylvania“, die Wachtturm-Gesellschaft (WTG).

Nach Russells Tod übernahm Joseph Franklin Rutherford (1869-1942) die Leitung der Bewegung und machte sie zu dem, was wir heute als die Zeugen Jehovas kennen. Er zwängte die nur lose miteinander verbundenen Versammlungen in eine straff geführte Organisation, die ursprünglichen demokratischen Strukturen wurden aufgelöst. Rutherford perfektionierte auch die bekannten Besuche von Haus zu Haus. Die Erwartung des Weltendes gehört bis heute zu den Grundfesten der Bewegung. Ein Überleben des Weltendes wird einzig den eigenen Anhängern verheißen, die sich durch fortwährende Mitarbeit zu bewähren haben.

 

Grundlage der Lehre bildet die Heilige Schrift in der von der WTG genehmigten Auslegung. 1950 legte die WTG erstmals eine eigene, englischsprachige Übertragung der biblischen Texte vor, die „Neue-Welt-Übersetzung der Heiligen Schrift“ (NWÜ). Die mittlerweile über 73 kompletten Übersetzungen der NWÜ in andere Sprachen gehen dabei nicht von den biblischen Urschriften aus, sondern von deren englischer Übertragung. Eine der gravierendsten Änderungen in dieser Fassung besteht darin, dass an 237 Stellen der (angebliche) Gottesname „Jehova“ in den Text des Neuen Testaments aufgenommen wurde, obwohl dieses Wort im Urtext nicht vorkommt.

Die Zeugen Jehovas verstehen sich selbst als die einzig legitime „christliche, theokratische Organisation“, weshalb sie Kontakt zu Außenstehenden meist ablehnen. Umgang mit Menschen, die keine Zeugen Jehovas sind, ist für Mitglieder in der Regel untersagt. Die Lektüre kritischer Bücher gilt als verwerflich. Viele Feste (Weihnachten, Geburtstage etc.) werden als heidnisch abgelehnt. Über viele Jahrzehnte haben Jehovas Zeugen nicht an Wahlen teilgenommen, in jüngster Zeit zeigt man in hier allerdings eine gewisse Kompromissbereitschaft. Ehe und Familie werden in einer traditionell-patriarchalischen Form gelebt und geschätzt. Vorehelicher Geschlechtsverkehr, das Zusammenleben ohne Trauschein und Homosexualität können zum Gemeinschaftsentzug führen. Von Eheschließungen mit Personen, die keine Zeugen sind, wird abgeraten.

Die Zeugen Jehovas sind missionarisch äußerst engagiert und verlangen diese Tätigkeit von allen ihren Mitgliedern. Es gibt kaum einen Ort in Deutschland, an dem nicht missioniert wird. Auch publizistisch sind sie überaus aktiv. Die Septemberausgabe 2017 des Wachtturms beispielsweise wurde in 303 Sprachen übersetzt und in insgesamt 61 Millionen Exemplaren gedruckt. „Der Wachtturm“ ist somit die auflagenstärkste religiöse Zeitschrift der Welt.