6.2. Reflexion: Quelle

John Wesley

Predigt: Das Wesen des Fanatismus[1]

 

Festus rief mit lauter Stimme: Paulus, du bist von Sinnen!

Apg 26, 24

  1. So redet alle Welt, so reden die Menschen, die Gott nicht kennen, über diejenigen, die dieselbe Religion haben wie Paulus, über jeden, der Paulus so nachfolgt, wie er Christus nachfolgte. Wahr ist: Es gibt eine Religion – sie wird auch Christentum genannt – die ohne solche Unterstellung praktiziert wird und der man zugesteht, dass sie mit gesundem Menschenverstand vereinbar sei. Damit meint man eine Religion der Form, eine Reihe äußerer Pflichten, die angemessen und pünktlich erfüllt werden. Man kann noch Rechtgläubigkeit dazu nehmen, ein System richtiger Meinungen, ja sogar eine gewisse Portion heidnischer Moral. Und doch werden dann nicht viele behaupten, dass „viel Religion dich um den Verstand gebracht“ hat.[2] Aber wenn du nach der Religion des Herzens strebst, wenn du von Gerechtigkeit und Frieden und Freude im Heiligen Geist redest, dann wird es nicht lange dauern, bis dir das Urteil gesprochen wird: „Du bist von Sinnen.“
  2. Es ist kein Kompliment, das die Weltmenschen dir damit machen. Diesmal meinen sie, was sie sagen. Sie behaupten nicht nur, sondern glauben von Herzen, dass jeder Mensch von Sinnen ist, der sagt, die Liebe Gottes sei ihm in sein Herz gegossen durch den Heiligen Geist, der ihm gegeben ist, und dass Gott ihn befähigt habe, sich in Christus zu freuen mit unaussprechlicher und herrlicher Freude. Wenn einer tatsächlich für Gott lebt und allem Irdischen hier unten gestorben ist, wenn er fortgesetzt ihn sieht, der unsichtbar ist, und darum im Glauben lebt und nicht im Schauen, dann ist für sie unbestreitbar klar, dass „viel Religion ihn um den Verstand gebracht hat“.
  3. Man kann leicht feststellen, was genau die Welt für Verrücktheit hält, nämlich die äußerste Verachtung aller zeitlichen Dinge, das beständige Streben nach ewigen Dingen, das gottgeschenkte Überzeugtsein von unsichtbaren Dingen, das Frohlocken über Gottes Gunst, die glückliche, heilige Liebe zu Gott und das Zeugnis seines Geistes mit unserem Geist, dass wir Gottes Kinder sind. Das ist in Wahrheit der ganze Geist, das ganze Leben und die ganze Kraft der Religion Jesu Christi.

 

4.       Sie geben freilich zu, dass der betreffende Mensch in anderer Beziehung wie einer handelt und redet, der bei Verstand ist. In andern Dingen ist er ein vernünftiger Mensch, nur in den genannten Fällen ist sein Kopf verwirrt. Deshalb gesteht man ihm zu, dass die Verrücktheit, an der er leidet, von einer besonderen Art ist. Und folglich unterscheidet man sie gewöhnlich mit dem besonderen Begriff Enthusiasmus.[3]

  1. Dies ist ein Begriff, der außerordentlich häufig gebraucht wird, der im Munde einiger Leute selten fehlt. Und doch wird er außergewöhnlich selten verstanden, selbst von denen, die ihn am häufigsten gebrauchen. Deshalb ist es für ernsthafte Menschen, für alle, die zu verstehen wünschen, was sie sagen oder hören, vielleicht nicht inakzeptabel, wenn ich mich bemühe, die Bedeutung dieses Begriffes zu erklären und zu zeigen, was „Enthusiasmus“ ist. Das könnte für diejenigen eine Ermutigung sein, die zu Unrecht des Enthusiasmus beschuldigt werden. Vielleicht ist es aber auch hilfreich für einige, denen sie zu Recht vorgehalten wird, oder wenigstens für andere, denen das geschähe, wären sie nicht davor gewarnt worden.
  2. Was das Wort als solches anbelangt, so wird gewöhnlich eine griechische Herkunft angenommen. Aber wovon das griechische Wort ἐνθουσιασμός abgeleitet ist, hat bisher noch niemand zeigen können. Einige haben sich bemüht, es von ἐν Θεῷ, „in Gott“, abzuleiten, weil aller Enthusiasmus sich auf ihn bezieht. Aber das ist ziemlich gekünstelt, weil es nur wenig Ähnlichkeit zwischen dem abgeleiteten Wort und den Wörtern gibt, von denen sie es ableiten möchten. Andere möchten es ableiten von ἐν θυσίᾳ, „im Opfer“, weil viele der Enthusiasten früherer Zeiten während der Opferhandlung in heftigste Erregung gerieten. Vielleicht ist es auch ein erfundenes Wort, lautmalend, entstanden im Anklang an den Lärm, den einige der so Erregten machten.

 

7.       Ein Grund dafür, dass sich dieses seltsame Wort in so vielen Sprachen erhalten hat, liegt möglicherweise gerade darin, dass man über seine Bedeutung keine größere Übereinstimmung erzielte als über seine Ableitung. So übernahm man das griechische Wort, weil man es nicht verstand; man übersetzte es nicht in die eigene Sprache, weil man nicht wusste, wie man es übersetzen sollte; und so war es immer ein Wort mit ungenauer, schwankender Bedeutung, mit dem kein klar umrissener Sinn verbunden war.

  1. Deshalb überrascht es ganz und gar nicht, dass es heute so unterschiedlich gebraucht wird und verschiedene Leute ihm verschiedene Bedeutungen beilegen, die ziemlich unvereinbar sind. Einige verwenden es in gutem Sinne für einen Impuls oder eine Einwirkung von Gott, die stärker ist als alle natürlichen Fähigkeiten und die zeitweilig den Verstand und die Sinne ganz oder teilweise außer Funktion setzt. In dieser Bedeutung des Wortes waren sowohl die einstigen Propheten als auch die Apostel echte „Enthusiasten“, die zu verschiedenen Zeiten so mit dem Geist erfüllt waren und so von dem beeinflusst, der in ihren Herzen wohnte, dass der Gebrauch ihrer eigenen Vernunft, ihrer Sinne und all ihrer natürlichen Fähigkeiten aufgehoben war und sie, völlig von der Kraft Gottes bewegt, nur „gesagt haben, wozu sie vom Heiligen Geist getrieben wurden“.
  2. Andere verwenden das Wort in einem unbestimmten Sinn, in dem es moralisch weder Gutes noch Böses bezeichnet. So sprechen sie vom Enthusiasmus der Dichter, vor allem bei Homer und Vergil. Diese Bedeutung weitet ein kürzlich verstorbener angesehener Schriftsteller so aus, dass er behauptet, es gebe keinen Menschen, der in seinem Beruf, welcher das auch sei, herausragte, zu dessen Charakter nicht ein ordentlicher Schuss Enthusiasmus gehörte. Unter Enthusiasmus scheinen diese Leute eine ungewöhnliche Kraft des Denkens, eine besondere Leidenschaft des Geistes, eine Lebendigkeit und Stärke zu verstehen, die bei gewöhnlichen Menschen nicht zu finden sind und die die Seele zu größeren und höheren Dingen emporheben, als ein kühler Verstand sie erreicht hätte.
  3. Aber keines von beiden trifft die Bedeutung, in der das Wort Fanatismus meistens verstanden wird. Allgemein stimmen die Leute mindestens soweit überein, dass sie ihn für etwas Schlechtes halten; und das ist offenkundig die Meinung all derer, die die Religion des Herzens „Enthusiasmus“ nennen[4]. Entsprechend werde auch ich auf den folgenden Seiten ihn als ein Übel betrachten, als ein Unglück, wenn nicht gar einen Fehler.[5]

 

11.     Das Wesen des Fanatismus ist ohne Zweifel eine Verwirrung des Denkens, die den Gebrauch des Verstandes weitgehend behindert. Ja manchmal setzt sie ihn ganz außer Funktion, sie trübt nicht nur, sondern verschließt die Augen des Verstandes. Deshalb kann man sie sehr wohl als eine Art Verrücktheit ansehen, Verrücktheit eher als Dummheit, wenn man sieht, dass ein Dummer eigentlich jemand ist, der falsche Schlüsse aus richtigen Voraussetzungen zieht, während ein Verrückter richtige Schlüsse zieht, aber leider aus falschen Voraussetzungen. Und genau das tut ein Fanatiker. Angenommen, seine Voraussetzungen wären richtig, so wären auch seine Schlüsse mit Notwendigkeit richtig. Aber genau hier liegt sein Irrtum: Seine Voraussetzungen sind falsch. Er bildet sich ein, jemand zu sein, der er nicht ist. Und weil er falsch beginnt, gerät er, je weiter er geht, umso mehr vom Wege ab.

  1. Daher ist jeder Fanatiker eigentlich ein Verrückter. Doch seine Verrücktheit ist keine gewöhnliche, sondern eine religiöse. Mit religiös meine ich freilich nicht, dass diese Verrücktheit irgendwie zur Religion gehört. Genau das Gegenteil: Religion ist der Geist eines gesunden Verstandes und steht folglich in direktem Gegensatz zu jeder Art von Verrücktheit. Ich meine aber, sie hat die Religion als ihren Gegenstand; sie ist mit Religion vertraut. Und wenn der Fanatiker von Religion, von Gott und göttlichen Dingen spricht, tut er das in einer solchen Weise, dass jeder vernünftige Christ die Verwirrung seines Denkens erkennen kann. Deshalb kann man den Fanatismus allgemein so beschreiben: Er ist eine religiöse Verrücktheit, die ihren Ursprung in einer fälschlich angenommenen Beeinflussung oder Inspiration durch Gott hat, wenigstens dadurch, dass sie Gott etwas zuschreibt, was man ihm nicht zuschreiben sollte, oder etwas von Gott erwartet, was man nicht von ihm erwarten sollte.

 

13.     Es gibt unzählige Arten von Fanatismus. Die verbreitetsten und deshalb auch gefährlichsten versuche ich, unter einigen allgemeinen Gesichtspunkten zusammenzufassen, so dass sie leichter verstanden und gemieden werden können.

Die erste Art von Fanatismus, die ich erwähnen will, betrifft Leute, die sich einbilden, die Gnade zu haben, die sie nicht haben. So meinen manche, sie hätten die „Erlösung“ durch Christus, „eben die Vergebung der Sünden“, obwohl das nicht so ist. Gewöhnlich sind sie wie die, die „keine Wurzel in sich haben“, keine tiefe Reue, kein echtes Schuldbewusstsein. „Deshalb nehmen sie das Wort mit Freuden an.“ Und „weil sie keine tiefe Erde haben“, weil keine tiefreichende Arbeit in ihren Herzen geschieht, deshalb „keimt der Same sofort auf“. Es gibt schnell eine oberflächliche Veränderung, verbunden mit der unbeschwerten Freude, die mit dem Stolz ihres unzerbrochenen Herzens und ihrer übermäßigen Selbstliebe aufkommt und sie locker davon überzeugt, dass sie „das gute Wort Gottes und die Kräfte der zukünftigen Welt schon geschmeckt haben“.

  1. Das ist ein passendes Beispiel für die erste Art von Fanatismus; er ist eine Art von Verrücktheit, die aus der Einbildung entsteht, dass sie die Gnade hätten, die sie in Wahrheit nicht haben, so dass sie nur ihre eigene Seele täuschen. Das kann man zu Recht Verrücktheit nennen, denn die Schlussfolgerungen dieser armen Leute wären richtig, wenn ihre Voraussetzungen gut wären; die aber sind bloße Geschöpfe ihrer eigenen Einbildung, und darum fällt alles, was sie auf ihnen errichten, in sich zusammen. Das Fundament all ihrer Träumereien ist dieses: sie bilden sich ein, den Glauben an Christus zu haben. Hätten sie ihn wirklich, dann wären sie „Könige und Priester vor Gott“ und besäßen „ein unerschütterliches Reich“. Aber sie haben ihn nicht. Folglich ist ihr ganzes Verhalten so weit von Wahrheit und Nüchternheit entfernt wie das des gewöhnlichen Verrückten, der sich für einen irdischen König hält und wie ein solcher spricht und handelt.
  2. Es gibt viele andere Arten von Fanatismus. Da ist der feurige Eiferer für die Religion oder (wahrscheinlich eher) für seine Ansichten über Religion und Formen von Gottesdienst, die er mit dieser Bezeichnung würdigt. Auch er bildet sich ernsthaft ein, er sei ein an Jesus Glaubender, ja ein Kämpfer für den Glauben, der einst den Heiligen anvertraut wurde. Entsprechend ist sein ganzes Auftreten von dieser Einbildung geprägt. Wenn seine Annahme zuträfe, wäre das in etwa ein akzeptabler Grund für sein Verhalten, so aber ist es offensichtlich die Wirkung eines verwirrten Kopfes und verstörten Herzens.

 

16.     Doch die am weitesten verbreiteten Fanatiker dieser Art sind jene, die sich selbst für Christen halten und es nicht sind. Sie gibt es zahlreich nicht nur in allen Teilen unseres Landes, sondern fast überall auf der bewohnten Erde. Dass sie keine Christen sind, ist klar und nicht zu leugnen, wenn wir dem Wort Gottes glauben. Denn Christen sind heilig, diese sind unheilig. Christen lieben Gott, diese lieben die Welt. Christen sind demütig, diese sind stolz. Christen sind sanftmütig, diese sind hitzig. Christen sind gesinnt, wie Christus es war, diese sind unermesslich weit davon entfernt. Folglich sind sie ebenso wenig Christen, wie sie Erzengel sind. Doch sie bilden sich ein, sie wären es, und sie können sogar einige Gründe dafür anführen: Sie wurden, solange sie denken können, immer so genannt. Sie sind vor vielen Jahren durch die Taufe „zu Christen“[6] gemacht worden, sie vertreten die „christlichen Meinungen“, die gewöhnlich christlicher oder katholischer[7] Glaube genannt werden. Sie halten „christliche Gottesdienste“ wie ihre Väter vor ihnen. Sie führen ein sogenanntes gutes „christliches Leben“ wie all ihre Nachbarn. Wer sollte sich da anmaßen, zu denken oder zu sagen, diese Leute seien keine Christen? Obwohl ohne ein Körnchen wahren Glaubens an Christus oder wirklicher, innerer Heiligkeit! Ohne dass sie die Liebe Gottes geschmeckt oder „Anteil am Heiligen Geist bekommen“ hätten!

  1. Ihr Armen, wie täuscht ihr euch doch selbst! Christen seid ihr nicht. Nein, ihr seid Fanatiker hohen Grades. Ärzte, heilt euch selbst! Vorher aber erkennt eure Krankheit: Euer ganzes Leben ist Fanatismus, denn alles wird von der Einbildung bestimmt, dass ihr die Gnade Gottes erhalten hättet, die ihr nicht erhalten habt. In Folge dieses grandiosen Irrtums pfuscht ihr Tag für Tag weiter, weil ihr euch in eurem Reden und Handeln ein Profil anmaßt, das euch in keiner Weise gehört. Daraus entsteht jene mit Händen zu greifende, eklatante Widersprüchlichkeit, die euer ganzes Verhalten durchzieht, diese groteske Mischung von echtem Heidentum und eingebildetem Christentum. Freilich, solange ihr eine so überwältigende Mehrheit auf eurer Seite habt, werdet ihr immer noch auf Grund der bloßen Zahlen dabei bleiben, dass ihr die einzigen Menschen mit Verstand seid, alle anderen aber, die nicht so sind wie ihr, geistig verwirrt. Nur ändert das nichts an der Natur der Sache. In Gottes Augen und denen seiner heiligen Engel, ja auch aller Kinder Gottes auf der Erde seid ihr alle bloß Verrückte, bloß Fanatiker! Seid ihr’s nicht? „Lebt“ ihr nicht „wie in einem dunklen Schatten“, einem Schatten von Religion, einem Schatten von Glück? „Macht“ ihr euch nicht „viel vergebliche Unruhe“ um Nichtigkeiten, um Missgeschicke, die genauso eingebildet sind wie euer Glück oder eure Religion? Haltet ihr euch nicht selbst für groß und gut? Für hochgebildet und sehr weise? Wie lange? Vielleicht bis der Tod euch wieder zur Vernunft bringt und ihr eure Torheit immer und ewig beklagt!

 

18.     Eine zweite Art von Fanatismus findet sich bei denen, die sich einbilden, Gaben von Gott bekommen zu haben, die sie gar nicht besitzen. So haben sich einige eingebildet, sie seien mit der Kraft ausgestattet, Wunder zu bewirken, Kranke durch ein Wort oder eine Berührung zu heilen, Blinden die Sehkraft wiederzugeben, ja sogar Tote aufzuwecken – dafür gibt es einen bekannten Fall in unserer jüngsten Vergangenheit[8]. Andere haben angefangen zu prophezeien, kommende Ereignisse vorherzusagen, und das mit äußerster Gewissheit und Genauigkeit. Aber schon nach kurzer Zeit sind diese Eiferer in der Regel verstummt. Wenn klare Fakten ihren Vorhersagen zuwider laufen, dann vollbringt die Erfahrung, was der Verstand nicht konnte, und bringt sie wieder zur Besinnung.

  1. Zu derselben Art gehören jene, die sich beim Predigen oder Beten einbilden, vom Geist Gottes so beeinflusst zu sein, wie sie es faktisch nicht sind. Ich bin mir wohl bewusst, dass wir ohne ihn nichts tun können, gerade in unserem öffentlichen Amt; dass all unser Predigen ohne das Hinzukommen seiner Kraft völlig vergeblich ist und ebenso unser Beten, wenn sein Geist nicht unserer Schwachheit aufhilft. Ich weiß: Wenn wir nicht im Geist predigen und beten, ist beides nur verlorene Mühe, denn wir wissen, dass jede Hilfe, die auf der Erde geschieht, von ihm getan wird, der alles in allen wirkt. Aber das betrifft nicht den vor uns liegenden Fall. Wie es einen wirklichen Einfluss des Geistes Gottes gibt, so gibt es auch einen eingebildeten und viele verwechseln den einen mit dem anderen. Viele nehmen an, dass sie selbst unter diesem Einfluss stehen, obwohl es nicht so ist, obwohl sie weit entfernt von ihm sind. Und viele andere nehmen an, dass sie selbst stärker unter diesem Einfluss stehen, als es wirklich der Fall ist. Zu ihnen zählen, fürchte ich, all jene, die sich einbilden, dass Gott ihnen alle Worte, die sie sprechen, genau diktiere, und dass es ihnen darum unmöglich ist, etwas dem Inhalt oder der Art nach Falsches zu sagen. Es ist wohlbekannt, wie viele Fanatiker dieser Art schon im gegenwärtigen Jahrhundert aufgetreten sind, von denen einige in einer weit größeren autoritativen Weise reden als Paulus oder irgendein anderer Apostel.

 

20.     Dieselbe Art von Fanatismus findet man häufig, wenn auch in geringerem Maße, bei eher zurückhaltenden Menschen. Auch sie mögen sich einbilden, vom Geist beeinflusst und geleitet zu sein, obwohl das nicht zutrifft. Ja, es stimmt: „Wer den Geist Christi nicht hat, der gehört nicht zu ihm“; und wann immer wir richtig denken, reden oder handeln, geschieht das nur mit dem Beistand dieses gepriesenen Geistes. Aber wie viele Menschen schreiben ihm Dinge zu oder erwarten Dinge von ihm ohne jeden vernünftigen oder biblischen Grund! Das sind die, die sich einbilden, jetzt oder in Zukunft „besondere Anweisungen“ von Gott zu empfangen, und das nicht nur in wichtigen Dingen, sondern auch in Angelegenheiten ohne Belang, in höchst unbedeutenden Lebenslagen. Dabei hat Gott uns für solche Fälle unseren eigenen Verstand als Ratgeber geschenkt, ohne dass der „geheime Beistand“ seines Geistes jemals ausgeschlossen wäre.

  1. Für diese Art Fanatismus sind vor allem solche Menschen anfällig, die in geistlichen Angelegenheiten wie im gewöhnlichen Leben erwarten, von Gott auf eine – wie man richtig sagt – außergewöhnliche Weise geleitet zu werden. Ich meine durch Visionen oder Träume, durch starke Eindrücke oder plötzliche Denkanstöße. Ich leugne nicht, dass Gott in alter Zeit seinen Willen auf diese Weise bekannt gemacht hat oder dass er es auch jetzt tun kann. Ja ich glaube sogar, dass er es in einigen sehr seltenen Fällen tut. Aber wie häufig irren sich Menschen darin! Wie werden sie durch Stolz und lebhafte Einbildung so irregeführt, dass sie auch solche Anstöße und Eindrücke, Träume oder Visionen Gott zuschreiben, die seiner höchst unwürdig sind! Das alles ist reine Fantasterei, ebenso weit von Religion entfernt wie von Wahrheit und Besonnenheit.

 

22.     Einige könnten fragen: „Sollten wir denn nicht in allem danach fragen, was Gottes Wille ist? Sollte sein Wille nicht der Maßstab unserer Lebenspraxis sein?“ Ohne Frage sollte das so sein. Aber wie sollte ein ernsthafter Christ diese Frage stellen? Woher sollte er wissen, was der „Gottes Wille“ ist? Nicht dadurch, dass er auf übernatürliche Träume wartet. Nicht dadurch, dass er von Gott erwartet, ihn in Visionen zu offenbaren. Nicht dadurch, dass er auf „besondere Eingebungen“ oder plötzliche Denkanstöße wartet. Nein, sondern dadurch, dass er Gottes Wort konsultiert. „Die Weisung und das Zeugnis“. Das ist der übliche Weg, um zu erfahren, was „der heilige Wille Gottes“ ist und was ihm gefällt.

  1. „Aber wie soll ich erkennen, was der Wille Gottes in diesem und jenem besonderen Fall ist? Was anliegt, ist an sich indifferent und auch in der Schrift nicht entschieden.“ Ich antworte: Die Schrift gibt dir eine allgemeine Regel, die auf alle besonderen Fälle anwendbar ist: „Der Wille Gottes ist unsere Heiligung.“ Sein Wille ist es, dass wir innerlich und äußerlich heilig sein sollen, dass wir in jeder Weise und in dem höchsten uns möglichen Maß gut sein und gut handeln sollen. So stehen wir auf festem Grund. Das ist so klar wie das Licht der Sonne. Um den Willen Gottes in einem besonderen Fall zu erkennen, brauchen wir nur diese allgemeine Regel anzuwenden.
  2. Nehmen wir zum Beispiel an, einem vernünftigen Mann stehe bevor, zu heiraten oder in eine neue Beschäftigung einzutreten. Um zu wissen, ob dies der Wille Gottes ist, und mit der Gewissheit, es ist der Wille Gottes für mich, so heilig zu sein und so viel Gutes zu tun, wie ich kann“, braucht er nur zu fragen: „In welchem Stand kann ich möglichst heilig sein und am meisten Gutes tun?“ Das muss zum Teil durch Vernunft, zum Teil durch Erfahrung entschieden werden. Die Erfahrung sagt ihm, welche guten Gelegenheiten er in seinem gegenwärtigen Stand hat, gut zu sein und gut zu handeln; und die Vernunft muss ihm zeigen, welche er gewiss oder wahrscheinlich in dem Stand hat, in den er eintreten will. Wenn er das miteinander vergleicht, muss er entscheiden, welcher von beiden am ehesten dazu beiträgt, gut zu sein und Gutes zu tun. Und soweit er das weiß, soweit ist er gewiss, was der Wille Gottes ist.
  3. Dabei ist vorausgesetzt, dass Gottes Geist ihm während des Nachdenkens über diese Frage zur Seite steht. Dabei ist es nicht einfach zu beschreiben, auf wie vielfältige Weise dieser Beistand gewährt wird. Es mag sein, dass er uns viele Situationen in Erinnerung ruft, andere in ein helleres und klareres Licht rückt, unseren Sinn unmerklich für eine Überzeugung öffnet und diese in unserem Herzen festigt. Viele derartige Umstände können so zu der Erkenntnis dessen führen, was seinen Augen wohlgefällt; dann kann er so einen unaussprechlichen inneren Frieden und ein so ungewöhnliches Maß seiner Liebe dazugeben, dass wir nicht mehr daran zweifeln können: dies, genau dies, ist sein Wille für uns.

 

26.     Das ist der einfache, biblische und vernünftige Weg, den Willen Gottes in einem konkreten Fall zu erkennen. Wenn wir jedoch bedenken, wie selten dieser Weg benutzt wird und welche Flut von Fanatismus sich deshalb über die ergießen muss, die sich anschicken, Gottes Willen auf unbiblische und unvernünftige Weise zu erkennen, wäre es wünschenswert, dieser Ausdruck würde viel seltener verwendet. Ihn, wie manche es tun, auf trivialste Anlässe anzuwenden, ist eine klare Verletzung des dritten Gebotes. Es ist grober Missbrauch des Namens Gottes und verrät große Unehrerbietigkeit gegen ihn. Wäre es nicht weit besser, dafür andere Ausdrücke zu verwenden, die keine solchen Einwände hervorrufen? Zum Beispiel: Statt in einer bestimmten Situation zu sagen: „Ich möchte wissen, was der Wille Gottes ist“, wäre es nicht besser zu sagen: „Ich möchte wissen, was mich am meisten voranbringt und was mir am meisten nützt“? Das ist klar und einwandfrei formuliert. So wird eine einfache biblische Frage gestellt, und das ohne jede Gefahr von Fanatismus.

  1. Eine dritte sehr verbreitete Art von Fanatismus (wenn sie sich nicht mit der vorhergehenden deckt) findet sich bei denen, die ein Ziel erreichen wollen, ohne die Mittel zu gebrauchen, also durch die unmittelbare Kraft Gottes. Würden ihnen diese Mittel tatsächlich durch göttliche Vorsehung vorenthalten, dann würde dieser Vorwurf ihnen nicht gelten. Gott kann in solchen Situationen seine eigene, unmittelbare Kraft anwenden und manchmal tut er es. Wer dies jedoch erwartet, ohne die Mittel zu gebrauchen, die ihm zur Verfügung stehen, der ist wirklich ein Fanatiker. Dazu gehören die Leute, die die Heilige Schrift zu verstehen meinen, ohne sie zu lesen und zu meditieren, ja, ohne all die Hilfsmittel zu gebrauchen, die ihnen zur Verfügung stehen und wahrscheinlich zu diesem Ziel führen. Dazu gehören des Weiteren die Leute, die mit Vorsatz in der öffentlichen Versammlung reden, ohne sich vorbereitet zu haben. Ich sage „mit Vorsatz“, weil es Umstände geben kann, die ein spontanes Reden erfordern. Wer aber das großartige Mittel eines konstruktiven Redebeitrags verachtet, ist insofern ein Fanatiker.
  2. Vielleicht erwartet man, dass ich auch davon spreche, was manche als vierte Art von Fanatismus ansehen, nämlich die Vorstellung, auch das der Vorsehung Gottes zuzuschreiben, was nichts mit ihr zu tun hat. Aber ich bin im Zweifel. Ich weiß nicht, was das ist, das mit der Vorsehung Gottes nichts zu tun hat, was nicht von seiner ordnenden oder jedenfalls seiner lenkenden Macht unmittelbar oder mittelbar betroffen ist. Ich sehe nichts außer der Sünde; und selbst in den Sünden anderer sehe ich Gottes Vorsehung für mich! Ich sage nicht seine allgemeine Vorsehung; denn ich meine, dieser Ausdruck klingt gut, bedeutet aber nichts. Wenn es aber eine besondere Vorsehung gibt, dann muss sie sich über alle Personen und alle Dinge erstrecken. So hat unser Herr sie verstanden, sonst hätte er niemals sagen können: „Sogar die Haare auf eurem Kopf sind alle gezählt“ und „kein Spatz fällt auf die Erde“ ohne „den Willen eures Vaters im Himmel.“ Wenn es aber so ist, dass Gott herrscht universis tanquam singulis, et singulis tanquam universis[9] – über alle wie über jeden einzelnen und über jeden einzelnen wie über alle – was gibt es dann (unsere eigene Sünde ausgenommen), das wir nicht der Vorsehung Gottes zuschreiben sollten? Deshalb kann ich nicht sehen, dass es hier einen Raum für den Vorwurf des Fanatismus gäbe.

 

29.     Wenn gesagt wird, die Anschuldigung laute: „Wenn du dies der Vorsehung zuschreibst, dann hältst du dich selbst für einen besonderen Günstling des Himmels“, antworte ich: Du hast einige Worte vergessen, die ich gerade gesagt habe: Praesidet universis tanquam singulis – seine Vorsehung ist über allen Menschen in der Welt genauso wie über jeder einzelnen Person. Siehst du nicht, dass jeder, der glaubt, alles, was ihm begegnet, sei der Vorsehung zuzuschreiben, sich damit zu keinem größeren Liebling des Himmels macht, als er es von jedem anderen Menschen unter dem Himmel annimmt? Darum hast du kein Recht, ihn des Fanatismus zu beschuldigen.

  1. Vor all diesen Formen von Fanatismus müssen wir uns mit größter Sorgfalt hüten, indem wir uns bewusst machen, welche schlimmen Folgen er oft hervorgebracht hat und welche tatsächlich aus seinem Wesen hervorgehen. Sein unmittelbarer Sprössling ist der Stolz; stetig vergrößert er die Quelle, aus der er fließt, und entfremdet uns damit mehr und mehr der Gunst und dem Leben Gottes. Die wahren Quellen des Glaubens und der Liebe, der Gerechtigkeit und der wahren Heiligkeit, die alle der Gnade entspringen, trocknet er aus. Doch „Gott widersteht den Stolzen und gibt Gnade“ allein „den Demütigen“.

 

31.     Mit dem Stolz wird naturgemäß ein unbelehrbarer und uneinsichtiger Geist aufwachsen, so dass, in welchen Irrtum oder Fehler der Fanatiker auch fällt, wenig Hoffnung auf Genesung besteht. Denn Vernunft wiegt wenig bei ihm (wie man richtig und oft beobachtet hat), der sich einbildet, von einer höheren Führerin, der Weisheit Gottes selbst, geleitet zu werden. Und wie sein Stolz wächst, so wachsen auch seine Unbelehrbarkeit und Halsstarrigkeit. Er wird unweigerlich weniger und weniger fähig sein, sich überzeugen zu lassen, weniger empfänglich für andere Argumente, mehr und mehr an sein eigenes Urteil und seinen eigenen Willen gebunden, bis er ganz und gar festgelegt und unbeweglich ist.

  1. Wenn sich jemand so gegen Gottes Gnade und gegen allen Rat und alle Hilfe von Menschen verschanzt, bleibt er ganz der Führung durch sein eigenes Herz und durch den König der Kinder des Stolzes ausgeliefert. So ist es kein Wunder, dass er von Tag zu Tag stärker in Menschenverachtung, wilde Wut, unleidliche Stimmungen aller Art und irdische wie teuflische Launen versinkt. Auch über die schrecklichen äußeren Wirkungen brauchen wir uns nicht zu wundern, die eine solche innere Verfassung zu allen Zeiten hervorgebracht hat: alle Arten von Bosheit, alle Werke der Finsternis, von solchen getan, die sich selbst Christen nennen, während sie gierig Dinge tun, die selbst unter Heiden kaum einmal erwähnt werden.

Das ist das Wesen, das sind die furchtbaren Wirkungen dieses vielköpfigen Monsters[10] Fanatismus! Aus diesen Betrachtungen wollen wir nun einige einfache Folgerungen in Hinsicht auf unsere eigene Praxis ziehen.

  1. Erstens: Wenn Fanatismus ein Begriff ist, der zwar häufig gebraucht, aber selten verstanden wird, so hüte du dich, von etwas zu reden, was du nicht kennst. Gebrauche das Wort nicht, bevor du es verstehst! Lerne, wie überhaupt, so auch hier, erst zu denken, bevor du redest. Erst musst du die Bedeutung dieses schwierigen Wortes kennen, dann gebrauche es, wenn es nötig ist.
  2. Wenn so wenige unter den Gebildeten und Gelehrten und erst recht unter den normalen Leuten dieses dunkle, mehrdeutige Wort verstehen oder irgendeine fixe Vorstellung von seiner Bedeutung haben, dann hüte dich, zweitens, jemanden aufgrund von allgemeinem Gerede für einen Fanatiker zu halten oder ihn so zu nennen! Das ist nämlich keinesfalls ein ausreichender Grund, jemandem einen solchen Schimpfnamen zu geben. Je schlimmer eine solche Bezeichnung ist, desto vorsichtiger solltest du sein, sie auf jemanden anzuwenden und ohne klaren Beweis einen so schweren Vorwurf zu erheben; das verträgt sich weder mit Gerechtigkeit noch mit Barmherzigkeit.

 

35.     Wenn aber der Fanatismus ein so großes Übel ist, dann achte darauf, dass du nicht selbst hineingerätst! Wache und bete, dass du nicht in diese Anfechtung fällst! Sie überfällt leicht solche Menschen, die Gott fürchten und lieben. Denke nicht höher von dir, als du denken solltest! Bilde dir nicht ein, du habest eine Gnade von Gott bekommen, die du nicht bekommen hast. Du magst große Freude haben, du magst ein gewisses Maß an Liebe haben – und doch keinen lebendigen Glauben! Rufe zu Gott, er möge nicht zulassen, dass du, blind wie du bist, den Weg verlässt, dass du dich jemals für einen Christusgläubigen hältst, ehe Christus in dir offenbart ist und sein Geist mit deinem Geist bezeugt, dass du ein Kind Gottes bist!

  1. Hüte dich davor, ein flammender Fanatiker zu werden, der andere verfolgt! Bilde dir nicht ein, Gott hätte (ganz im Gegensatz zum Geist dessen, den du deinen Meister nennst) dich berufen, Menschenleben zu verderben, statt sie zu retten! Träume niemals davon, Menschen auf Gottes Weg zu zwingen! Denke selbst und lass andere denken! Übe in Angelegenheiten des Glaubens keinen Zwang aus! „Nötige“ auch die vom Weg Gottes am weitesten Entfernten nie mit anderen Mitteln „hereinzukommen“ als mit Vernunft, Wahrheit und Liebe!
  2. Hüte dich davor, mit der Herde der Fanatiker mitzulaufen, indem du dir einbildest, ein Christ zu sein, obwohl du keiner bist! Maße dir nicht an, diesen ehrenvollen Namen zu tragen, ohne dass du einen klaren, biblischen Anspruch darauf hast, ohne dass du die Gesinnung hast, die Christus hatte, und dein Leben so führst wie er.
  3. Hüte dich davor, der zweiten Art von Fanatismus zu verfallen und dir einzubilden, du habest Gaben von Gott, die du gar nicht hast! Verlass dich nicht auf Visionen oder Träume, auf plötzliche Eindrücke oder irgendwelche starken Impulse! Bedenke: Nicht durch sie sollst du „Gottes Willen“ in besonderen Situationen erkennen, sondern durch die Anwendung der klaren biblischen Regel mithilfe von Erfahrung und Vernunft und unter dem ständigen Beistand des Geistes Gottes! Nimm den Namen Gottes nicht leichtfertig in den Mund: Sprich nicht bei jedem geringfügigen Anlass von „Gottes Willen“. Lass vielmehr deine Worte wie deine Handlungen von Ehrerbietung und Gottesfurcht bestimmt sein.

 

39.     Hüte dich schließlich vor der Einbildung, du könntest das Ziel erreichen, ohne die Mittel zu gebrauchen, die dazu dienen. Gott kann dich ohne alle Mittel das Ziel erreichen lassen, aber du hast keinen Grund anzunehmen, dass er es tun werde. Deshalb nimm stetig und sorgsam alle jene Mittel in Anspruch, die er als Kanäle seiner Gnade eingesetzt hat! Gebrauche jedes Mittel, das die Vernunft oder die Schrift dir empfehlen, weil es (durch Gottes freie Liebe in Christus) zum Empfang oder zur Vermehrung jeder Gabe Gottes führen kann. So erwarte ein tägliches Wachsen in der reinen heiligen Religion, die die Welt stets Fanatismus nannte und immer nennen wird, die aber für alle, vom wirklichen Fanatismus (vom bloßen Namenschristentum) Befreiten „Gottes Weisheit und Gottes Kraft“ ist, das herrliche Bild des Höchsten, Gerechtigkeit und Frieden, eine Quelle lebendigen Wassers, das ins ewige Leben sprudelt!

 

Quelle: John Wesley, Lehrpredigten, herausgegeben von Manfred Marquardt, Göttingen: Edition Ruprecht, 2016.

[1] The Nature of Enthusiasm. Die deutsche Wortgruppe „schwärmen/Schwärmerei“ ist zu einem überwiegend positiven Ausdruck geworden. Der Begriff „Fanatismus“ entspricht dem von Wesley beschriebenen Phänomen.

[2] Der letzte Teil von Apg 26,24 lautet: „Das große Wissen hat dich um den Verstand gebracht.“

[3] Samuel Johnson definiert in seinem Dictionary of the English Language (London 1755) „enthusiasm“ als „A vain belief of private revelation, a vain confidence of divine favour or communication.“ („Ein eingebildeter Glaube an eine persönliche Offenbarung, ein eingebildetes Vertrauen auf eine göttliche Gunst oder Mitteilung.“) Er zitiert John Locke: „Enthusiasm is founded neither on reason nor divine revelation but rises from the conceits of a warmed or overweening brain.“ („Enthusiasmus ist weder auf Vernunft noch göttliche Offenbarung gegründet, sondern entsteht vielmehr aus den Täuschungen eines überhitzten oder überheblichen Gehirns.“), zitiert nach Albert Outler, WJW 2, 47, Anm. 11.

[4] Im Folgenden wird, um den pejorativen Gebrauch des Begriffs „Enthusiasmus“ anzuzeigen, die deutsche Übersetzung durchgehend den Begriff „Fanatismus“ (bzw. „Fanatiker“) verwenden.

[5] Martin Luther hat den Begriff „Schwärmer“ vor allem im Kampf gegen die Zwickauer Propheten, Thomas Müntzer und Andreas Karlstadt, aber auch gegen andere Spiritualisten verwendet, weil sie unter Berufung auf direkte Inspirationen durch den Heiligen Geist das „extra nos“ des Heils missachteten. Vgl. Volker Leppin, Art. Schwärmerei, TRE 30, 1999, 628f., und oben Anm. 4. Auch die Confessio Augustana (1530) verwirft in ihrem 5. Artikel diejenigen, „die lehren, dass wir den Heiligen Geist ohne das leibhafte Wort des Evangeliums durch eigene Vorbereitung, Gedanken und Werke erlangen“. – Wir wählen hier, wie gesagt, den Begriff „Fanatismus“.

[6] Im Englischen kann „taufen“ auch „to christen“ heißen, so steht hier: „they were christened“.

[7] Das Attribut „catholic“ ist hier nicht im konfessionellen Sinn gemeint, sondern als Bezeichnung für den „allgemeinen“, seit der Zeit der alten Kirche überlieferten Glauben, wie ihn auch die Kirche von England vertrat

[8] Wahrscheinlich meint Wesley damit den Fall von Dr. Thomas Emes, der ein großer Parteigänger der Bewegung der „French Prophets“ war und unter den Armen in Moorfields wirkte. Er war im Dezember 1707 gestorben und auf den Bunhill Fields, einem Friedhof für Nonkonformisten, beigesetzt worden. Im Mai 1708 prophezeiten einige seiner Freunde, er werde in einem neuen Leib sichtbar aus dem Grab erstehen, woraufhin Tausende an dem genannten Tag zum Friedhof kamen; doch es geschah nichts (weitere Quellen sind in WJW 2, 52f., Anm. 31 genannt).

[9] Vgl. Augustin: Bekenntnisse, 3. Buch, Kap. 11, 19 (Monikas Traum): „O du Gütiger, du Allmächtiger, der du Sorge trägst um jeden von uns, als sorgtest du nur für den einen, und Sorge trägst um alle, als wären sie nur einer.“ (Übersetzung von Joseph Bernhart (Hg.): Augustinus. Confessiones – Bekenntnisse. Lat./dt., Hamburg 1955)

[10] Der Ausdruck geht vielleicht auf Horaz (Epistel, I,1,76) zurück: „Belua multorum est capitum“. Wesley erwähnt das „many-headed beast“ im Tagebuch vom 26.10.1740 (WJW 19, 172). Siehe auch Anm. 49 in WJW 2,