6.1.2. Verbreitung

Als Geburtsstunde der Pfingstbewegung gilt der Neujahrstag 1901, als Berichten zufolge in der von dem methodistischen Heiligungsprediger Charles Parham (1873-1929) gegründeten Bethel Bible School in Topeka (Kansas) eine Schülerin begann, in Zungen zu reden. Ihren eigentlichen Beginn als weltweite Bewegung erlebten die Pfingstler allerdings erst durch das Azusa Street Revival in Los Angeles (1906-1913), eine Art charismatisches Woodstock. Von dort aus breitete sich die Bewegung in atemberaubendem Tempo aus.

 

Zugleich rief sie aber auch heftigen Widerstand hervor. Bereits 1909 distanzierten sich 56 führende evangelikale Theologen Deutschlands in ihrer Berliner Erklärung von der neuen Bewegung:

„Eine derartige Bewegung als von Gott geschenkt anzuerkennen, ist uns unmöglich. Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, daß in den Versammlungen die Verkündigung des Wortes Gottes durch die demselben innewohnende Kraft Früchte bringt. Unerfahrene Geschwister lassen sich durch solche Segnungen des Wortes Gottes täuschen. Diese ändern aber an dem Lügencharakter der ganzen Bewegung nichts. (Vergl. 2. Kor. 11, 3.4.14)

Die Gemeinde Gottes in Deutschland hat Grund, sich tief zu beugen darüber, daß diese Bewegung Aufnahme finden konnte. Wir alle stellen uns wegen unserer Mängel und Versäumnisse, besonders auch in der Fürbitte, mit unter dieser Schuld. Der Mangel an biblischer Erkenntnis und Gründung, an heiligem Ernste und Wachsamkeit, eine oberflächliche Auffassung von Sünde und Gnade, von Bekehrung und Wiedergeburt, eine willkürliche Auslegung der Bibel, die Lust an neuen aufregenden Erscheinungen, die Neigung zu Übertreibungen, vor allem aber auch Selbstüberhebung, das alles hat dieser Bewegung die Wege geebnet.

 

[…]

Wir bitten hiermit alle unsere Geschwister um des Herrn und seiner Sache willen, welche Satan verderben will: Haltet euch von dieser Bewegung fern! Wer aber von euch unter die Macht dieses Geistes geraten ist, der sage sich los und bitte Gott um Vergebung und Befreiung. Verzaget nicht in den Kämpfen, durch welche dann vielleicht mancher hindurchgehen wird. Satan wird seine Herrschaft nicht leichten Kaufes aufgeben. Aber seid gewiß: Der Herr trägt hindurch! Er hat schon manchen frei gemacht und will euch die wahre Geistesausrüstung geben.“

 

Der Beginn der charismatischen Erneuerung hängt vor allem mit dem Wirken des episkopalen Pfarrers Dennis Bennett (1917-1991) zusammen, der in Van Nuys (Kalifornien) tätig war. Dieser bekannte im Jahre 1960 öffentlich, die Taufe im Heiligen Geist und die Gabe der Zungenrede empfangen zu haben. Bennett wollte jedoch keinerlei Abspaltung von seiner Heimatkirche, sondern strebte eine geistliche Erneuerung innerhalb der bestehenden Kirchen an. In Deutschland entstanden charismatische Erneuerungsgruppen in den evangelischen Landeskirchen, die sich später als „Geistliche Gemeindeerneuerung“ (GGE) organsierten, es folgte eine ähnliche Bewegung im Bereich der römisch-katholischen Kirche („Charismatische Erneuerung in der katholischen Kirche“).

 

Weltweit bezeichnen sich heute schätzungsweise 500 Millionen Christen als Pfingstler und/oder Charismatiker. Würde es sich um eine eigene, in sich geschlossene Konfession handeln, wäre es die Zweitgrößte nach der römisch-katholischen Kirche. Da sich aber, wie bereits erwähnt, auch zahlreiche Charismatiker innerhalb der traditionellen Konfessionen befinden, wäre eine solche Zählung irreführend.

Im deutschsprachigen Raum fallen die Zahlen eher niedrig aus. Die größte Gemeinschaft in Deutschland, der Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden (BFP), hat nach eigenen Angaben ca. 49.000 Mitglieder. Der BFP ist Mitglied der Vereinigung Evangelischer Freikirchen (VEF) und seit 2010 Mitglied im Gaststatus der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK).

 

 

Obwohl die pfingstlerische Frömmigkeit in Afrika, Asien und Südamerika weitaus bessere kulturelle Anknüpfungsmöglichkeiten vorfindet, wirkt sie in den westlichen Industrienationen gerade aufgrund ihres Protests gegen ein geheimnisleeres Wirklichkeitsverständnis und ein Glaubensverständnis, das die Dimension des Wunders und des Wunderbaren ausschließt, attraktiv. Mit ihren Erfahrungsangeboten bieten enthusiastische Bewegungen einen Antwortversuch auf die Vergewisserungssehnsucht der Menschen. Die Vergewisserung wird in sichtbaren Geistmanifestationen gesucht, die als Zeichen, manchmal als Beweise göttlicher Gegenwart angesehen werden.