2.1.3 Röm. 7,14-25

Paulus spricht weiterhin in der ersten Person, nun aber im Präsens, während er zuvor in der Vergangenheit gesprochen hat. Er schildert seinen Kampf mit dem Gesetz, den Zwiespalt zwischen Geist und Fleisch, zwischen seinem Wollen einerseits und seinem Tun andererseits. Hier nun gibt es keinen Grund anzunehmen, dass Paulus nicht von sich selbst spricht. Die Frage ist vielmehr: von welchem Selbst spricht er?

An dieser Frage scheiden sich im wahrsten Sinne des Wortes die Geister. Einige Theologen, unter ihnen bedeutende Exegeten des Römerbriefs wie Augustinus, Martin Luther, Johannes Calvin oder Karl Barth, verstehen die Stelle so, dass Paulus von seiner aktuellen Situation spricht, also einen gegenwärtigen Konflikt schildert, mit dem er täglich zu ringen hat. Diese Erklärung scheint zunächst die naheliegende zu sein, gäbe es nicht eine Spannung zwischen ihr und dem Inhalt von Kapitel sechs. Hatte Paulus dort nicht erläutert, dass die Christen der Sünde gestorben und somit von ihrer Herrschaft frei sind? Im achten Kapitel wird er ebenfalls schreiben: „Denn das Gesetz des Geistes und des Lebens in Christus Jesus hat dich frei gemacht vom Gesetz der Sünde und des Todes.“  Wie kann er dann hier behaupten, er sei als Christ „verkauft unter die Sünde“? Dieser Einwand ist es, der die andere Gruppe von Exegeten glauben lässt, Paulus beschreibe hier nicht seinen aktuellen Zustand, sondern sein Leben vor der Bekehrung. Mit dieser Erklärung löst sich zwar die Spannung zu den anderen Kapiteln auf, dafür treten aber neue Probleme hinzu. Wieso spricht Paulus in der Gegenwart, wenn er sein früheres Leben meint? Wie sind die beiden letzten Sätze zu verstehen? „Ich elender Mensch! Wer wird mich aus diesem dem Tod verfallenen Leib erretten? Dank aber sei Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn! Es ergibt sich also, dass ich mit meiner Vernunft dem Gesetz Gottes diene, mit dem Fleisch aber dem Gesetz der Sünde.“ Kann man dies anders verstehen, als dass Paulus auch in seinem neuen Leben mit Christus den besagten Konflikt spürt?

 

 

Wie bei so vielen anderen theologischen und exegetischen Debatten, hängt die Entscheidung zwischen beiden Alternativen auch mit der Persönlichkeit des Autors zusammen. Martin Luther beispielsweise fand seinen eigenen Konflikt hier widergespiegelt und interpretierte die Stelle entsprechend. Sein Bekehrungserlebnis nahm ihm die Furcht vor dem Gericht Gottes, da er dessen wahre Gerechtigkeit erkannt hatte, aber es befreite ihn nicht vom Ringen mit der Sünde. Für August Hermann Francke (1663-1727) etwa, den wirkmächtigsten Vertreter des Pietismus, konnte es nach der Wiedergeburt keine wirkliche Anfechtung mehr geben. Über sein Bekehrungserlebnis schreibt er: „Und das ist also die Zeit, dahin ich eigentlich meine wahrhaftige Bekehrung rechnen kann. Denn von der Zeit an hat es mit meinem Christentum einen Bestand gehabt, und von da an ist mir‘s leicht geworden, zu verleugnen das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste und züchtig, gerecht und gottselig zu leben in dieser Welt; von da an habe ich mich beständig zu Gott gehalten, Beförderung, Ehre und Ansehen vor der Welt, Reichtum und gute Tage und äußerliche, weltliche Ergötzlichkeit für nichts geachtet“ (siehe Quelle). Francke kann also nicht glauben, dass der wiedergeborene Paulus noch derartige Konflikte durchleiden musste und interpretiert die Stelle so, dass der Apostel hier von seinem Leben vor der Bekehrung spricht (s.o.)