1.1.1 Paulus

„Alles, was nicht aus Glauben geschieht, ist Sünde.“ (Röm. 14,23) Mit dieser Formulierung beschreibt Paulus überaus präzise die zwei unterschiedlichen Pfade, die der Mensch beschreiten kann. Er kann sein Leben auf Christus ausrichten und im Glauben leben oder er fällt auf den Weg der Sünde und ergeht sich in Götzendienst. Diesen Charakterzug der Sünde beschreibt erläutert Paulus bereits zu Beginn des Römerbriefes: „Sie behaupteten, weise zu sein, und wurden zu Toren und sie vertauschten die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes mit Bildern, die einen vergänglichen Menschen und fliegende, vierfüßige und kriechende Tiere darstellen. Darum lieferte Gott sie durch die Begierden ihres Herzens der Unreinheit aus, sodass sie ihren Leib durch ihr eigenes Tun entehrten. Sie vertauschten die Wahrheit Gottes mit der Lüge, sie beteten das Geschöpf an und verehrten es anstelle des Schöpfers – gepriesen ist er in Ewigkeit. Amen.“ Während das Leben im Glauben auf Gott ausgerichtet ist, neigt der Sünder dazu, menschliche Konstrukte und somit sich selbst zu verehren und anzubeten. Dieses „Rühmen“, also das Rühmen seiner selbst, ist für Paulus der Inbegriff von Sünde.

Der Apostel verwendet für dieses Fehlverhalten den griechischen Begriff harmatia. Dieser spielt innerhalb der griechischen Antike auch in der Poetik des Aristoteles eine Rolle. Dort beschreibt der große Gelehrte, wie ein Held bzw. eine Handlung beschaffen sein muss, um beim Zuschauer die gewünschten Gefühle von Jammer und Schauder hervorzurufen, was dann die Reinigung (katharsis) von diesen Leidenschaften bewirken soll: „Dies ist bei jemandem der Fall, der nicht trotz seiner sittlichen Größe und seines hervorragenden Gerechtigkeitsstrebens, aber auch nicht wegen seiner Schlechtigkeit und Gemeinheit einen Umschlag ins Unglück erlebt, sondern wegen eines Fehlers (harmatia).“ Die harmatia meint also in erster Linie eine Fehleinschätzung des Handelnden, und in eben diesem Sinne verwendet auch Paulus den Begriff. Die Fehleinschätzung des Sünders liegt darin, dass er nicht Gott verehrt, sondern sich selbst. Deshalb kann Paulus auch davon sprechen, dass Gott die Fehlgeleiteten ihren schändlichen Begierden „ausliefert“ – das unrechte Verhalten ist eine Folge des Irrtums.

Mit ‚Sünde‘ beschreibt Paulus aber nicht nur eine Handlung, sondern auch einen Zustand. Hier hilft uns unsere eigene Sprache zum besseren Verständnis weiter. Das deutsche Wort ‚Sünde‘ ist (vermutlich) dem Wort Sund entlehnt, mit dem eine Landtrennung oder ein Bruchspalt bezeichnet wird und das wir bis heute in Städtenamen wie etwa Stralsund vorfinden. Die Sünde ist somit das, was uns von Gott trennt, absondert. Für Paulus befinden sich alle Menschen unter der Herrschaft der Sünde: „Was sagen wir denn nun? Haben wir (Juden) einen Vorzug? Gar keinen. Denn wir haben soeben bewiesen, dass alle, Juden wie Griechen, unter der Sünde sind […] Es ist hier kein Unterschied: Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie vor Gott haben sollen“ (Röm. 3,9/23).

Die Sünde ist die große Gleichmacherin, sie ebnet sämtliche Unterschiede zwischen den Menschen ein. Deswegen unterteilt das Christentum die Menschen auch nicht in Kategorien wie „rein“ oder „unrein“ ein. Sowohl im Judentum als auch im Islam gibt es bestimmte Regeln, an die man sich halten muss, um auf der richtigen Seite zu sein. Zugegeben, die Einhaltung der Speisevorschriften, des Sabbats, des Ramadans etc. ist herausfordernd, aber sie ist kein Ding der Unmöglichkeit. Für uns Christen hingegen gibt es keine Regeln und Gesetze, die wir realistischerweise einhalten können, um Gott zu gefallen.